Der Bühnenkünstlerverband
Die sogenannte „thymelische Synode“ war der internationale Bühnenkünstlerverband des Römischen Reichs und unterscheidet sich vom Athletenverband - der „xystische Synode“. Mit dem Wort „thymele“ wurde die Bühne bezeichnet und „Synode“ ist das griechische Wort für Verein. Im Gegensatz zu gewöhnlichen antiken Vereinen, die nur Mitglieder aus einer bestimmten Stadt aufnahmen, hatte der Bühnenkünstlerverband Mitglieder aus dem ganzen Mittelmeerraum. Es gab ihn vom Anfang des 1. Jahrhunderts n. Chr. an bis (wahrscheinlich) zum Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr.
Die Mitglieder des Bühnenkünstlerverbandes waren erfolgreiche Musiker und Schauspieler, die an musisch-dramatischen Wettkämpfen teilnahmen. Sie hatten eine hohe soziale Stellung und so auch gute Beziehungen zu den römischen Behörden. Der Verband bekam wichtige Privilegien von Kaisern wie Augustus, Claudius und Hadrian verliehen. Wie dem Athletenverband wurde dem Bühnenkünstlerverband, wohl in der Zeit Hadrians, ein Hauptsitz in Rom zugesprochen. Dieser erleichterte dem Verband den Zugang zum Kaiser und damit seine Lobbyarbeit.
In mehreren Mitgliedschaftsdokumenten auf ägyptischen Papyri aus dem späten 3. Jahrhundert n. Chr. wurden Kopien kaiserlicher Briefe gefunden. Sie beweisen die Vorrechte und hohe Stellung des Verbandes.
Dieser Brief des Kaisers Claudius wurde 43 n. Chr. nach einer Audienz mit Abgesandten des Bühnenkünstlerverbandes geschrieben:
Tiberius Claudius Caesar Augustus Germanicus, Inhaber der tribunizischen Gewalt zum zweiten Mal, Konsul zum dritten Mal, Vater des Vaterlandes, grüßt die Künstler der ganzen Welt des Dionysos, die heiligen Kranzsieger und ihre Mitagonisten. Ich erlaube, die Standbilder dergestalt aufzustellen, dass wir mit der gebührenden Hochachtung verehrt werden; die euch von dem vergöttlichten Augustus eingeräumten Rechte und Vergünstigungen bewahre ich. Die Gesandten waren Claudius Phoibos, Claudius Epagathos, Claudius Dionysios, Claudius Thamyris, Claudius Castor, Antonius Natalis der Jüngere; Logios (?) --; lebt wohl! Ausgefertigt zu Rom, als Tiberius Claudius Caesar Augustus (zum dritten Mal) und Vitellius zum zweiten Mal Konsuln waren.
Ein Edikt des Kaisers Hadrian (117-138 n. Chr.):
Auszug aus einem Edikt des vergöttlichen Hadrian betreffs der der Synode eingeräumten Privilegien; zu diesen gehören: Unverletzlichkeit, Ehrenplatz, Befreiung von Militärdienst, Befreiung von den öffentlichen Liturgien, Steuerfreiheit auf die Dinge, die sie für privaten Gebrauch oder für die Wettkämpfe mitführen, Befreiung vom Richteramt, Befreiung von der Verpflichtung (im Falle einer Anklage) Bürgen beizubringen, Befreiung für ihre eigene Person von Sondersteuern, -- Versammlungsrecht (?); das Recht, nicht gegen ihren Willen Fremde einquartieren zu müssen; nicht eingesperrt zu werden noch auf irgend eine andere Weise in Haft (? genommen zu werden)…
Dieser Brief wurde von Kaiser Septimius Severus (193-211 n. Chr.) geschrieben, nachdem Abgesandte des Verbandes ihm zu seiner Thronbesteigung gratuliert hatten:
Brief des vergöttlichten Severus. Es war natürlich, dass ihr von der heiligen Synode in meiner Vaterstadt euch darüber gefreut habt, dass die Betreuung und Regierung des Ganzen auf mich gekommen sind und dass ihr die Gesinnung, die ihr uns gegenüber hegt, durch einen Beschluss deutlich gemacht habt. In dem Wunsch, euch dafür dankbar zu sein, bewahre ich selbst auch das, was ihr an Rechten und Vergünstigungen von früher her, verliehen durch Kaiser vor mir, hattet, und bin gewillt, dies noch zu verstärken und euch zu ehren als Künstler, die der Verehrung des Dionysos obliegen. Lebt wohl!
(Übersetzungen adaptiert von Peter Frisch)
In den römischen Provinzen, von Südfrankreich bis Syrien und Ägypten, wurde der Verband von verschiedenen Beamten vertretet. Eine Vertretung bestand aus einem Obermagistrat, einem Sekretär und einem Rechtsgelehrten. Sie waren unter anderem für die Zuweisung der Bühnenkünstler zu Wettkämpfen zuständig, gaben den Mitgliedern Auskunft und kümmerten sich um die Personalverwaltung des Verbandes. Zudem gab es noch niedrigere Beamte wie Sekretäre und Oberpriester. Die Letzteren hatten wohl während der Wettkämpfe eine religiöse Funktion. Oberpriester mussten selbst keine Künstler sein, denn auch Frauen, die nicht an den Wettkämpfen teilnehmen durften, konnten das Amt als Oberpriesterin innehaben. Religion spielte eine wichtige Rolle im Verband: Bühnenkünstler wurden sogar als die „Frommsten der Griechen“ bezeichnet. Da sie eine besondere Beziehung mit Dionysos, dem Gott des Theaters, hatten, nannten sie sich „Künstler des Dionysos“. Mitgliedsdokumente, überliefert auf ägyptischen Papyri aus dem 3. Jahrhundert n. Chr., zeigen uns, wie der Verband in Ägypten operierte.
Dieser Brief vom Bühnenkünstlerverband an seine Mitglieder bestätigt, dass Aurelius Apollodidymos als Sekretär in den Verband aufgenommen wurde. Dies geschah im Dezember 273 oder Januar 274 n. Chr., als der Verband in der ägyptischen Stadt Oxyrhynchus zusammenkam, um an den lokalen Kapitolinischen Spielen teilzunehmen. Der Verband trägt einen imposanten Titel, in dem der Name des Kaisers Aurelianus aufgenommen ist. Später nutzte Apollodidymos dieses Dokument, um in seiner Heimatstadt Privilegien, die den Mitgliedern des Verbandes verliehen wurden, zu beantragen.
Die heilige musische herumwandernde Aurelianische ökumenische Synode grüßt die Künstler und heiligen Kranzsieger des Dionysos. Nehmt zur Kenntnis, dass Marcus Aurelius Apollodidymos, der Sohn des Ploution, als Sekretär aufgenommen worden ist in die heilige musische herumwandernde ökumenische Synode und dass er die nach dem kaiserlichen Gesetz vorgeschriebene Aufnahmegebühr, 250 Denare, vollständig bezahlt hat, ebenso die für die Ehrungen des Kaisers bestimmten heiligen Abgaben. Wir haben euch dies geschrieben, damit ihr Bescheid wisst.
Ausgestellt in der erlauchten und erlauchtesten Stadt Oxyrhynchus, als zum ersten Mal der heilige, die Sieger zu feierlichem Einzug berechtigende, ökumenische, in jedem fünften Jahr stattfindete musische, athletische und hippische, im Rang der Kapitolia von Rom stehende Wettkampf der Grossen Kapitolia gefeiert wurde ---, unter folgenden Obermagistraten der heiligen musischen Synode: Unter dem ersten Archon Sarapammon, Herold, aus Alexandria, Hieronike, Sieger an den Kapitolia, Ausnahmekünstler; unter dem Sekretär Paulus, Trompeter, aus Antinoupolis ---; und unter dem Rechtsarchon Marcus Aurelius Silvanus aus Hermopolis, Bürger von Rom und Athen, Hieronike, Vielfachsieger, Ausnahmekünstler.
Dieses Dokument ähnelt dem Boxerdiplom, das 80 Jahre zuvor vom internationalen Athletenverband verfasst wurde. Wie der Boxer Hermeinos musste Apollodidymos eine Eintrittsgebühr zahlen.
Bram Fauconnier