Musische Wettkämpfe

 

Musischer Wettkampf
Das Vasenbild dieser Panathenäischen Preisamphore (540-520 v. Chr.) zeigt einen Aulosspieler bei seinem Wettkampf. Beim Aulos handelt es sich um eine Doppelflöte, die in der Antike weit verbreitet war.
(Bild: Foto von © Trustees of the British Museum unter CC BY-NC-SA 4.0 lizensiert)

Griechische Festivals zeichneten sich nicht nur durch athletische Wettkämpfe aus; mindestens ebenso wichtig waren Aufführungen von Musik und Drama, die im städtischen Theater stattfanden. Nach den Musen, den Göttinnen der Künste (z. B. Musik, Literatur, Drama) nannte man diese „musische Wettkämpfe“. Die bekanntesten fanden bei den Pythischen Spielen in Delphi statt. Die musischen Disziplinen entstanden bereits in der griechischen Frühgeschichte und waren auch noch in der Römischen Kaiserzeit sehr beliebt: durch die Verbreitung der griechischen Wettkampfkultur wurden musische Wettkämpfe in einem großen Teil des Römischen Reiches organisiert, besonders beliebt waren sie in Kleinasien (der heutigen Türkei).

 

In der archaischen und klassischen Zeit kämpften nur Musiker gegeneinander um den Preis, aber mit der Zeit nahm die Anzahl an Disziplinen bei den musischen Spielen allmählich zu und auch andere Künstler konnten teilnehmen. In der römischen Zeit wurde ein musischer Wettkampf meistens von Herolden und Trompetern eröffnet; danach kamen die Dichter und die Redner und es gab Aufführungen mit der Kithara und mit den Auloi. Anschließend wurden Komödien und Tragödien aufgeführt. Der letzte und populärste Wettbewerb war der der Kitharöden, Sänger, die sich selber auf der Kithara begleiteten. Unterhaltungsshows von Seilakrobaten, Jongleuren und Mimen (Schauspielern, die eher vulgäre Aufführungen darboten) waren kein Teil des offiziellen Programms, wurden aber nach den renommierten Wettbewerben als zusätzliche Unterhaltung gezeigt. Bei den Kapitolinischen Spielen in Rom gab es auch Wettbewerbe in Vortrag, Prosa und Dichtung, sowohl auf Griechisch als auch auf Latein. Am Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. wurde sogar die Pantomime bei einigen Spielen eine offizielle Disziplin: Tänzer, die ohne Worte mythische Geschichten erzählten. Lediglich bei den Olympischen Spielen suchte man derartige Veranstaltungen vergebens. Die Wettkämpfe der Herolde und Trompeter – die man bei allen Spielen brauchte, egal ob musisch oder nicht – waren die einzigen, die auch in Olympia ausgetragen wurden.

 

QUELLE: Pausanias X 7, 2-6

Pausanias erklärt, wann die verschiedenen Disziplinen bei den Pythischen Spielen eingeführt wurden:


Der älteste Wettkampf, von dem man weiß und bei welchem zum ersten Mal Kampfpreise ausgesetzt wurden, soll der Wettgesang einer Hymne auf den Gott gewesen sein. […] Im dritten Jahr der achtundvierzigsten Olympiade sodann, in welcher Glaukias von Kroton siegte (586 v. Chr.), veranstalteten die Amphiktyonen wieder, wie früher, einen Wettkampf im Gesang zur Kithara, fügten aber auch noch das Flötenspiel und den Gesang zur Flöte bei; damals wurden als Sieger verkündet Melampus aus Kephallenia im Kitharagesang, Echembrotus aus Arkadien im Flötengesang, und Sakadas aus Argos im Flötenspiel, in welchem er auch in den zwei nächstfolgenden Pythiaden Sieger wurde. Damals wurden auch zum ersten Mal athletische Kämpfe gehalten, dieselben wie in Olympia, außer dem Viergespann, wogegen sie eigens für sich noch den Dolichos und Diaulos für die Knaben einführten. In der zweiten Pythiade (582 v. Chr.) sodann bot man keinen Wertpreis für den Kampf mehr aus, sondern ließ um den Preis des Kranzes kämpfen, und schaffte auch den Flötengesang ab, in Anbetracht dass sein Klang keinen erhebende Wirkung hervorbringe […] Damals führten sie auch noch das Wettrennen mit dem Viergespann ein, in welchem Kleisthenes, der Tyrann von Sikyon, als Sieger ausgerufen wurde. In der achten Pythiade (558 v. Chr.) fügten sie das Kitharaspiel ohne Gesang hinzu; der Kranz fiel dem Agelaus aus Tegea zu.

 

(Übersetzung adaptiert von Hans Reichardt)

 

Religion spielte eine wichtige Rolle während dieser Wettkämpfe, denn sie waren gewissermaßen eine Dienstleistung für die Götter und in das lokale religiöse Leben eingegliedert. Es kommt also nicht von Ungefähr, dass die Bühnenkünstler die „Frommsten der Griechen“ genannt wurden. Vor den Wettkämpfen gab es übrigens immer Prozessionen und Opfer. In der römischen Zeit kam noch der Kaiserkult dazu. In Prozessionen wurden Bilder der kaiserlichen Familie mitgeführt,  das Theater war häufig mit Bildern des Kaisers geschmückt und Redner hielten Lobreden zu seinen Ehren. Griechische Festivals waren deshalb sowohl eine Feier der griechischen Religion und Identität als auch ein Ausdruck der Loyalität dem Kaiser gegenüber.

 

Die musischen Künste erforderten viel technisches Wissen und langjährige Erfahrung. Deshalb mussten die Städte, die Spiele organisierten, herumreisende, spezialisierte Bühnenkünstler in Anspruch nehmen und sie mit einem hohen Preisgeld locken. Ebenso wie die Athleten wurden die Bühnenkünstler in der hellenistischen und römischen Zeit von ihrem eigenen Berufsverband vertreten.

 

Bram Fauconnier