Die Mitglieder des Athletenverbandes
Der Athletenverband des Römischen Reiches war ein Eliteverein, der nicht für jeden Athleten zugänglich war. Neue Mitglieder mussten nämlich eine relativ hohe Eintrittsgebühr bezahlen – im Mitgliedsausweis des ägyptischen Faustkämpfers Hermeinos lesen wir, dass diese Gebühr Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. 100 denarii betrug. Nach heutigem Standard entspricht dieser Betrag dem Wert eines kleinen Autos oder der Jahresmiete für eine Mehrzimmerwohnung! Deshalb bildeten die erfolgreichsten Athleten, die am meisten in ihre Karriere investierten, den Kern des Verbandes. Es geht vor allem um die sogenannten „hieronikai“ oder „heiligen Sieger“: Diesen Spitzenathleten war es gelungen, einen oder mehrere Siege in „heiligen Spielen“ oder „Kranzspielen“ – den wichtigsten Spielen der Antike – zu erringen. Aufgrund dieser Siege hatten sie ein Recht auf spezielle Privilegien, wie z. B. auf einen monatlichen Zuschuss, bezahlt von der Heimatstadt. Der Athletenverband kümmerte sich durch Lobbyarbeit bei den römischen Behörden um die Sicherung dieser Privilegien.
Im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. führten viele Städte neue Wettbewerbe ein. Dies führte zwangsläufig zu Problemen. Die Teilnehmer beschwerten sich zum Beispiel darüber, dass eine Stadt zwar einen Wettkampf ankündigte, dann aber ihr Geld für andere Zwecke verwendet hatte, wenn sie dort eintrafen. Eine andere häufige Beschwerde war, dass aufgrund der vielen neuen Spiele die alten Spiele Teilnehmer verloren, weil die Wettkämpfer nicht die Zeit dafür hatten, an allen teilzunehmen. Als 134 n. Chr. Kaiser Hadrian die Spiele in Neapel besuchte, suchten ihn sowohl Städte als auch die Verbände der professionellen Sportler und Künstler auf und klagten ihm ihr Leid. In den vorliegenden Briefen setzt der Kaiser neue Regeln durch: Seine Politik der Unterstützung von Spielen wird strenger und er organisiert die zeitliche Abfolge einiger Spiele neu, so dass die Reise von einem Wettkampf zum nächsten einfacher zu bewerkstelligen wurde.
1. Brief: Ich befehle, dass alle Wettkämpfe abgehalten werden sollen und dass es keiner Stadt erlaubt sei, Gelder für etwas anderes auszugeben, die für einen Wettbewerb vorgesehen sind …, auch verbiete ich, Gelder, die als Preise für die Teilnehmer oder als Pensionen für die Sieger gedacht sind, zum Bau von Gebäuden zu verwenden. Sollte eine Stadt dringend eine Finanzierungsmöglichkeit suchen, nicht zum Zwecke von Luxus und Extravaganz, sondern um im Falle einer Nahrungsmittelknappheit Weizen bereitstellen zu können, so solle man an mich schreiben. … Es ist nicht nur Ungerechtigkeit, sondern zu einem gewissen Grad auch Betrug, wenn man Spiele ankündigt und Teilnehmer einlädt, um dann bei deren Ankunft die Veranstaltung gleich, beim Anfang oder in der Mitte des Programms abzusagen. Und wo das geschieht, mögen die Wettkämpfer die Preise unter sich aufteilen, selbst wenn sie sich nicht miteinander gemessen haben sollten.
2. Brief: Ich habe beschlossen, dass die Spiele, worüber man vor mich Reden und Petitionen in Neapel gebracht hat, so geplant werden sollen…: Ich habe als Beginn die Olympischen Spielen gewählt, da dieser Wettkampf der älteste und prestigeträchtigste unter den griechischen ist. Nach den Olympischen sollen die Isthmischen Spiele kommen und nach den Isthmien die Hadrianeia, so dass dieser Wettbewerb an dem Tag anfängt, nachdem das Fest in Eleusis endet, und das ist nach Athener Brauch der erste Tag des Maimakterion. Die Hadrianeia sollen vierzig Tage dauern, und der Wettkampf in Tarentum soll nach den Hadrianeia abgehalten werden im Monat Januar. Nach den Kapitolinischen Spielen – diese bleiben geplant wie bisher – folgen die Spiele in Neapel. Dann sollen die Actia folgen, beginnend am neunten Tag vor den Kalenden des Oktober, und sie sollen enden nach vierzig Tagen. …
Die Olympischen Spiele, die Isthmien und die Hadrianeia fanden in Griechenland statt, im Sommer und Frühherbst. Dann mussten die Teilnehmer nach Tarent in Süditalien reisen, was von Griechenland aus relativ einfach zu erreichen war. Sie blieben in Italien für die nächsten Monate, um an den Kapitolia und den Spielen in Neapel teilzunehmen. Die Actischen Spiele fanden wiederum in Griechenland statt, jedoch an der Westküste, und waren daher leicht von Italien aus zu erreichen.
Als weitere wichtige Dienstleistungen bot der Verband praktische Hilfe und Unterstützung an: Der Verein hatte unter anderem Trainingsstätten zur Verfügung und seine eigenen Ärzte. Den Mitgliedern standen auch Archive zur Verfügung, in denen sie Rekorde in den verschiedenen Wettkampfdisziplinen nachschlagen konnten. Wahrscheinlich gab der Verein auch andere Arten von Auskunft und er kümmerte sich während der Wettkämpfe vermutlich auch um Unterkünfte für die Athleten. Ein wichtiger Ansprechpartner für herumreisende Athleten war der sogenannte Xystarch, der Verbandsbeamte, der an der Organisation von Wettkämpfen beteiligt war. Schließlich war der Verband auch für die Bestattung der verstorbenen Athleten zuständig, wie z. B. für M. Alfidius, der während der Festspiele in Neapel gestorben war.
Bram Fauconnier