Die Selbstkontrolle der Athleten
Sportler wurden für ihre Selbstkontrolle und Disziplin gerühmt. Um es bis an die Spitze zu schaffen, mussten sie nämlich hart arbeiten und auf viele Annehmlichkeiten verzichten. Im Gymnasion, wo junge Männer in Altersgruppen trainiert wurden, gab es sogar Wettbewerbe in gutem und disziplinierten Verhalten („eutaxia“) und in der Lust am Arbeiten („philoponia“).
Dio Chrysostomus (wörtlich: „Goldmund“), ein Redner des späten 1. Jahrhundert n. Chr., verherrlicht die Selbstkontrolle und das Durchhaltevermögen des verstorbenen Boxers Melankomas:
Wieviel Schönheit ihm auch eigen war, er besaß sogar noch mehr Selbstkontrolle. Obwohl er Schönheit geringschätzte, bewahrte er sie trotz seiner rohen Beschäftigung. Obwohl er ein Boxer war, blieb sein Gesicht so unversehrt wie das eines Läufers. Er trainierte so intensiv und strengte sich so sehr an, dass er seine Arme zwei Tage lang ununterbrochen hoch halten konnte und ihn niemand dabei erwischen konnte, wie er sie fallen ließ oder eine Pause machte, wie es Athleten üblicherweise machen. Er zwang seine Gegner sich zu ergeben, nicht nur bevor er einen Schlag abbekam, sondern selbst bevor er seinen Gegnern einen Schlag verpasst hatte.
Er stammte aus einer berühmten Familie und besaß nicht nur Schönheit sondern auch Mut, Stärke und Selbstkontrolle - das sind die besten der guten Eigenschaften. Und was am bewundernswertesten ist an einem Menschen: er blieb nicht nur ungeschlagen von seinen Gegnern sondern auch von Mühe, Hitze, Hunger und Trieb. Denn wenn du nicht von deinen Gegnern geschlagen werden willst, musst du es zunächst vermeiden, von diesen Dingen geschlagen zu werden.
Das mythische Vorbild der Athleten für die Selbstkontrolle war der Held Herakles. Dies veranschaulicht die Geschichte von Herakles am Scheideweg: Eines Tages kam der Held an eine Stelle, an der sich der Weg teilte. Er wusste nicht, welchen Weg er nehmen sollte. „Arete“, die Personifikation der Tugend, zeigte ihm einen beschwerlichen Pfad voller Entbehrungen, der zum Ruhm führte. „Eudaimonia“, die „Freude“, die man auch „Kakia“, „Göttin des Bösen“ nannte, zeigte ihm, dass er sein Ziel viel leichter erreichen konnte, indem er den anderen Pfad einschlagen würde. Herakles entschied sich für den unbequemen Weg der Disziplin und Selbstkontrolle.
Ein wichtiger Aspekt der Selbstkontrolle der griechischen Athleten war ihre sexuelle Abstinenz. Genauso wie heute fragten sich schon die Griechen, ob Sex vor einem Wettkampf eine gute Idee sei. Die Antwort war negativ: das Sperma wurde als die Quelle der Männlichkeit und Stärke gesehen, zwei Eigenschaften, über die man besser verfügte, während man an Spielen teilnahm. Der berühmte Kämpfer Kleitomachos weigerte sich sogar, an Gesprächen über erotische Themen teilzunehmen und sah angeblich weg, wenn sich Hunde paarten. Um Erektionen im Gymnasium zu vermeiden, band sich ein Athlet sogar die Vorhaut zusammen.
In der Spätantike übernahmen die Christen das athletische Ideal der Selbstkontrolle und Disziplin. Viele typisch christliche Ausdrücke wie „Askese“ stammen ursprünglich aus dem Vokabular der Athletik (altgriechisch „askesis“: Training).