Die Circusparteien

 

Wagenlenker der Weißen
Das Mosaik, das ca. aus dem Jahr 200 n. Chr. stammt und eine Villa in der Nähe Roms schmückte, zeigt einen Wagenlenker mit einem Pferd. An seiner Tunika erkennt man seine Zugehörigkeit zur weißen Circuspartei.
(Bild: Foto von Jastrow / gemeinfrei)

Obwohl jeder römische Wagenlenker natürlich davon träumte, den Sieg persönlich zu erringen, war das römische Wagenrennen eigentlich ein Teamsport. Pferde, Wagen und Wagenlenker gehörten alle zu einem Rennstall, der organisatorische Aspekte wie Training, Versorgung und Besoldung für sein Team übernahm. Wie auch heute war für die Stars des Circus ein Transfer zwischen den Teams möglich: Bekannte Wagenlenker wechselten während der Dauer ihrer Laufbahn mehrfach ihren Rennstall.


QUELLE: Plinius, Epistulae IX 6

Plinius äußert in einem Brief an Calvisius seine Meinung zu den Circusspielen:


Es waren die Spiele im Circus, eine Art von Schauspiel, die mich nicht im Geringsten anzieht. Es gibt dabei nichts Neues, keine Abwechslung, nichts, woran man nicht genug hätte, wenn man es einmal gesehen hat. Umso mehr wundere ich mich, dass so viele tausend Männer das so kindliche Verlangen haben, immer wieder rennende Pferde und auf Wagen stehende Menschen zu sehen. Wenn es nur auch wenigstens die Schnelligkeit der Pferde oder die Kunstfertigkeit der Menschen wäre, was sie anzöge, so wäre das noch ein Grund; so aber ist es ein Stück Tuch, dem sie ihren Beifall schenken, ein Stück Tuch, dem sie ihre Zuneigung geben; und wenn mitten im Laufe, mitten im Wettkampfe diese Farbe (des einen Rennstalls) dorthin, jene (des konkurrierenden Rennstalls) hierher versetzt würde, so würde ihre Zuneigung und Gunst ebenfalls zur Überläuferin werden, und sie würden auf der Stelle jene Lenker und Pferde, die sie schon von Weitem kennen, und deren Namen sie ausrufen, aufgeben.

 

(Übersetzung adaptiert von Ernst Klussmann)

 

 

Traditionellerweise gab es in Rom vier Rennställe oder Circusparteien, die im Circus gegeneinander antraten, alle benannt nach der Farbe, die die Kleidung ihres Teams auszeichnete: die Blauen, die Grünen, die Roten und die Weißen. Kaiser Domitian probierte noch zwei weitere einzuführen, die Purpurnen und die Goldenen, diese hielten sich aber nur kurz. Wenn mehrere Wagen vom gleichen Team an den Rennen teilnahmen, konnten die Teamkollegen dem Wagen mit dem schnellsten Gespann helfen, indem sie die Wagen der anderen Teams abbremsten. Im Laufe der Zeit begannen die Rennställe, auch untereinander zusammen zu arbeiten. In der Spätantike gab es eigentlich nur noch die Blauen und die Grünen, die weiße Partei unterstützte nämlich immer die beliebtere und größere blaue Partei und die Roten unterstützten auf ähnliche Weise die bekannteren Grünen.


Die Circusparteien waren ursprünglich eine rein organisatorische Struktur, typisch für die Wagenrennen in der Stadt Rom. Allmählich wurde dieses System aber auch von anderen Städten übernommen, zuerst vor allem im Westen des Reiches, wo sich die römischen Wagenrennen im Laufe der Kaiserzeit verbreiteten. In der Spätantike bekamen die Circusparteien dann eine zentrale Bedeutung in der Gesellschaft. Ab dem fünften und 6. Jahrhundert n. Chr. waren sie nämlich in fast jeder Stadt im Reich vertreten und waren außerdem nicht nur im Circus aktiv sondern auch im Theater. Fast jeder Entertainer (ob Wagenlenker, Bärenzähmer oder Tänzer) war jetzt entweder bei den Grünen oder bei den Blauen angestellt.


Wagenlenker der Blauen
Dieser Mosaikausschnitt zeigt einen Wagenlenker der blauen Circuspartei. Das gleiche Mosaik beinhaltet auch Abbildungen von Wagenlenkern der roten und der weißen Circuspartei.
(Bild: Jastrow / gemeinfrei)

Unter anderem durch die starke Verbreitung der Circusparteien gab es auch eine sehr große Fankultur. Viele Menschen in der Stadt – inklusive der römische Kaiser – positionierten sich als Anhänger einer der beiden Parteien. Dies führte einerseits zu  einem schönen Ausdruck von Zusammenhörigkeit: Weil jede Partei auch eine Art von Vorsprechern oder Massenlenkern hatte, wurde es ermöglicht, dass die Zuschauer im Circus alle gemeinsam die gleichen Parolen ausriefen, mit Ermunterungen für die Wagenlenker oder Lob für den herrschenden Kaiser. In Konstantinopel wurden diese Ausrufe oder Akklamationen sogar ein wichtiges Kommunikationsmittel zwischen dem Volk und dem oft im Circus anwesenden Kaiser. Anderseits konnte diese Fankultur auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Städtische Krawallen mit Brandstiftung und andere Akte von Vandalismus von den grünen oder blauen Fans kamen in den spätantiken Städten besonders häufig vor.

 

QUELLE: Prokopios von Caesarea, Geschichte der Kriege, I 24,1-5

Prokopios berichtet von den Konflikten zwischen den Anhängern der verschiedenen Circusparteien:


Um dieselbe Zeit brach aber in Byzantium unter dem Volk eine unerwartete Empörung aus, die wider Vermuten den höchsten Grad erreichte und mit großem Nachteil für das Volk und den Senat endete. Sie war folgende: Die Volksmassen in jeder Stadt teilten sich seit alten Zeiten in die Blaue und die Grüne Fraktion. Es ist aber noch nicht lange her, seit sie, dieser Farben wegen, an denen sie, als Zuschauer, Partei nehmen, ihr Geld verschwenden, ihre Personen dem schmerzlichsten Martern aussetzen und selbst den schmerzlichsten Tod zu sterben nicht scheuen. (…) Es erhält sich unter ihnen ein Hass gegen ihre Mitbürger, der, ohne eine Ursache zu haben, für alle Zeit ohne Ende fortdauert, und weder gegen Schwäger noch Verwandten, noch gegen Bande der Freundschaft sich nachgiebig zeigt, wenn Brüder oder andere eng verbundene Genossen bei ihrer Parteinahme der Farben uneinig geworden sind.

 

(Übersetzung adaptiert von Peter Friedrich Kanngießer)